Lieber Herr O-Ton,
ich möchte auf meinen Solo-Blog „The Amazing Sounds of Orgy“ verweisen, auf dem ich den ersten Teil dieses Artikel veröffentlicht habe. Hier kann angeklickt werden.
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Wie sehr ist man „Hipster“? Ich hoffe, ich bin es nicht zu sehr, will nicht so gelten. Die Hipster-Kultur ist an sich aber schwer zu differenzieren, gerade wenn man einerseits nicht (klamottentechnisch), andererseits dann doch irgendwie mittendrin steckt. Das macht sich bei meinen Abonnements der Indie-Blogs Pitchfork und Stereogum bemerkbar.
Die Widersprüchlichkeit und die Problematik der Dichotomien hip/uncool oder oberflächlich/tiefgängig ist brüchig, kulminiert aber vollends im grandiosen Musikvideo von Best Coast namens „Our Deal“.
Best Coast sind an sich typisches Indie-Blogmaterial, d.h. sehr „hip“. Ihr ungeschliffener Indie Pop mit Mädchengesang, der an die glorreichen Popmusikzeiten der 60er-Jahre erinnert, lässt Hipster-Herzen höherspringen, mich hingegen ließ ihr Debütalbum Crazy for You (2010) zum Anhören eher kalt. Warum? Ihr „Garage Pop“ oder „Surf Pop“ klang zu glatt und nett (die Melodien) und doch zu undeutlich und rauschend, um mich zu berühren.
Jetzt kommt aber Drew Barrymore in Spiel. Außer dass sie mal mit dem The-Strokes-Drummer zusammen war, galt die hauptberufliche Schauspielerin und Produzentin als eher nicht so indie-esque oder hip. Aber für Best Coast und dem auf dem ersten Blick eher unauffälligen Song „Our Deal“ drehte sie als Regisseurin das zugehörige Musikvideo. Und es ist…grandios!
Nicht nur in dieser Kollaboration von Hollywood-Star und Indiepop-Neulinge sind die Gesetze zur Trennung von Hipness und Uncoolness außer Kraft gesetzt. JungschauspielerInnen wie Chloë Moretz (weibliche Hauptrolle; Kick-Ass), Tyler Posey (männliche Hauptrolle; MTV-Serie Teen Wolf) und Miranda Cosgrove (bekannt aus Teenserien wie Drake & Josh oder iCarly) gelten als zu „uncool“ für Hipster-Verhältnisse, und spielen doch hier die zentralen Rollen.
Der erstaunlich klassische Plot des Videos, ach was, im Grunde dieses Kurzfilms, ist natürlich eine Referenz an West Side Story – damals ja auch ein unhipper Film über zwei engstirnige Hipster-Banden. Erinnert mich an Shakespeares Romeo und Julia: unhip. Die ausgewählten Retro-Klamotten und Spraying als Indikator für die Jetztzeit: hip. Das Sujet der Tragik der Liebe und die professionellen Kamerafahrten: wieder unhip.
Und das ist die Extended Version mit weiteren Albumtracks von Best Coast, z.B. „Boyfriend“:
Auch eher ungewöhnlich für Indie-Videos ist die hochglänzende Optik und die aufwändige Art Direction, was aber bei einer sonst stinkreichen Drew Barrymore dann doch nicht mehr so verwundert. Es ist aber scheißegal, wie teuer oder hip dieses Video geworden ist: es ist herausragend und hat sogar einen erzählerischen Twist am Ende. Meiner Meinung nach ist „Our Deal“ der bisherige Anwärter für das Musikvideo des Jahres. Was meinst du, lieber Herr O-Ton?
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27.08.11 13:46
Lieber Herr A-Ton,
was ist hip und wer sind die Hipster heutzutage? Ich selbst hatte nie viel mit solchen Bezeichnungen am Hut, hab mich nie zugehörig gefühlt zu irgeneiner Jugendbewegung. Ich sehe Gothic, Emo, Punk und wie sie alle heissen als Möglichkeit sich selbst Grenzen aufzuerlegen, damit die eigene Persönlichkeit möglichst klar abgesteckt ist. Damit kann man wunderbar Lebensphasen der Unsicherheit überleben. Mich wundert es immer nur, wenn man davon nicht mehr los kommt, aber es ist ja ein gewisser Konservatismus, in den man sich gemütlich zurücklegen kann. Es gibt ein Schönheitsideal, ein Lebenskonzept, eine Musikrichtung. Je freakiger das auch ist, es ist auch immer einseitig, kompromisslos, langweilig… konservativ eben.
Ich hab ja auch immer Schwierigkeiten mit den Musikrichtungen. Indie scheint ja nicht mehr independent zu bedeuten. Ist alternative nicht schon alles was von normalen Hörgewohnheiten abweicht, also eine Alternative oder ist alternative Musik, von Leuten gemacht, die alternative Lebenskonzepte haben? Was ist Folk? Mit folkloristischen Instrumenten gespielt, für das Volk, volkstümlich? Ich find das immer schwierig.
Ich find alles was hip ist schon ziemlich uncool 😛
Soviel zum Kulturdiskurs! Zum Video muss ich sagen, das bedient sich ja wirklich sehr an West Side Story, wie sie schon erwähnt haben. Manche Einstellung ist wirklich extrem ähnlich, selbst die Ästhetik und Klamotten sind sozusagen retro-retro-retro 50er und der Twist könnte auch aus der Zeit sein. Was Leonard Bernstein und Jerome Robbins mit ihrer Musik und den Bewegungen geschaffen haben, war vielleicht nicht hip, im Sinne der Hipster von damals, hat aber doch das Zeitgefühl auf den Kopf getroffen. Wohingegen das Video nur zitiert und noch nicht mal ordentliche Tanzeinlagen bietet. Vom Ganzen her aber ganz schön und wirklich aufwändig gemacht.
Shakespeare’s Romeo+Julia von Baz Luhrmann fand ich damals grandios, auch was die verwendete Musik anbelangte. Der Film hatte natürlich mehr Zeit als ein Musikvideo eine Geschichte zu entwickeln, hat aber wie ich finde einen ganz eigenen, zeitlosen Stil gefunden, der mir bei dem Video zu „Our Deal“ fehlt.
Übrigens: Bei Drew Barrymore und Retro-Musikvideo fiel mir direkt dieses Video hier ein:
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27.08.2011, 17:36
Lieber Herr O-Ton,
ich mache es mal ganz kurz.
Ich gehörte auch nie zu einer musikalischen Szene, war immer unabhängig von Cliquen. Am ehesten würde ich mich aber dem Indie-Umfeld zuschreiben, aber ich habe jetzt keinen festen Freundeskreis, der mit mir diese Art von Musik teilt.
Richtig, Musikgenres sind heutzutage für’n Arsch, weil man Musik von MusikerInnen, die sowieso von mehr als nur einem Genre beeinflusst sind, nicht in ein enges Korsett quetschen kann. Und Indie ist mittlerweile, um in der Metapher zu bleiben, wie das Korsett von Hella von Sinnen: nämlich ein weites Kleidungsstück, schwer zu definieren. Trotzdem ist dieses Korsett bei der groben Verortung von Musik nicht unhilfreich, um sich vor Schreckgespenstern wie Bon Jovi zu verstecken.
Ich habe selbst weder West Side Story noch Baz Luhrmans Romeo + Juliet gesehen, weiß aber über beide ganz gut Bescheid. Letztere Erwähnung von mir war eher auf die Literaturvorlage bezogen. Aber das Sujet der verbotenen Liebe hält ja bis heute an.
Den Film mit Hugh Grant und Drew Barrymore habe ich nur ansatzweise gesehen, fand die gesehenen Ausschnitte solala. Das Musikvideo nutzt sich nach einer Weile ab, finde ich. Beim ersten Mal: Hahaaaa! Beim fünften Mal: ach ja, kenn ich, hm….
Und geben wir „Our Deal“ von Best Coast doch noch ein wenig Zeit, damit sich das Video entfalten kann wie ein guter Wein. Vielleicht wird es ja doch zu einem zeitlosen audiovisuellen Ding. 🙂
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27.08.2011 23:57
Neee, also da haben Sie Recht Herr A-Ton,
das Video mit Hugh Grant sollte man auf keinen Fall öfter als drei Mal oder so konsumieren, dafür empfehle ich Ihnen aber doch die beiden erwähnten Filme (Nicht Music and Lyrics!) mal anzusehen. Beide in ihrer Zeit, meiner bescheidenen Meinung nach, großartig! Beide vereinen Popkultur und Klassik auf ganz unterschiedliche Weise.
Neulich hatte ich ein großes Label für einen ihrer neuen Künstler mit dem Prädikat Indie werben sehen. Das fand ich so dreist! Es gibt so viele unabhängge Künstler, die sich gegen die Vorgaben der Musikindustrie wehren und sich selbst durchkämpfen und dann geht so ein Label her und krallt sich diesen Begriff. Unverschämt, oder?
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31.08.2011, 17:01
Sehr geehrter, Herr O-Ton,
man könnte natürlich große Debatten lostreten, in denen es geht, was heutzutage, ab wann und wie „Indie“ ist und was/ab wann/wie nicht. Ich bin mir ja nie so ganz sicher, ob „Indie“ jemals überhaupt ein eigenständiges Genre (gewesen) ist, oder doch nur als eine ökonomische oder musikideologische Abgrenzung zu einem noch größere Welten umspannenden Musikstil namens Rock galt. Oder Pop. Wahrscheinlich ist die Berührungsangst vor „Ausverkauf“-Bezichtigungen bei Bands in den letzten Jahren allmählich gesunken.
Nehmen wir zum Beispiel Adele. Adele macht nicht gerade Indie-Rock-Musik, sondern Soul, der zwar auch rockig klingen kann, aber vor allem poppig und bluesig ist. Ganz sicher aber überraschend massentaugliche Erwachsenenmusik. Nimmt man demnach bei all den Nummer-eins-Platzierungen, Preis-Überhäufungen und lobenden Berichterstattungen mainstreamiger Presse, selbst in Deutschland, überhaupt wahr, dass sie bei einem Indie-Label ist, wenn auch bei einem ziemlich großen namens XL Recordings (Heimat von Radiohead und M.I.A.)? Selten bis gar nicht.
Und was ist mit James Blake? Macht semi-avantgardistischen und semi-revolutionären elektronischen Singer/Songwriter-Soul, der als Post-Dubstep gelabelt wurde, ist kommerziell kaum erfolgreich, wird von den Musikzeitschriften und Indie-Blogs umworben und von Musikhörern und Musikkennern kontrovers diskutiert. Und bei welcher Plattenfirma ist er? Wenn man von seinen gesangsloseren Singles und EPs wie CMYK (2010) oder „Order/Pan“ (2011) einmal absieht, ist er bei Universal!
Ich würde durchaus eine klassische und enge Definition von „Indie“ weiterhin befürworten: Alle Bands und Künstler machen Indie-Musik, die keiner der vier großen Major-Plattenfirmen (Sony, Universal, Warner, EMI) angehören oder von ihnen vertrieben werden, alles andere ist Pseudo-Indie oder Indie-esque. Das mit der Zweiwertigkeit ist bei Arcade Fire (City Slang/Universal) mittlerweile der Fall: in Deutschland beim höchstens mittelgroßen Indie-Label „City Slang“ unter Vertrag, aber von Universal vertrieben. Ergo: Arcade Fire sind NICHT Indie.
Wir sind uns aber bestimmt einig, dass der Begriff „Indie“ nicht nur sehr unscharf – wie so ziemlich die meisten musikalischen Kategorien – ist, sondern auch leblos und ausgehöhlt zu sein scheint. Demnach überrascht mich die von dir erwähnte Unverschämtheit des Majors gar nicht mehr so sehr. Ich frage mich gerade, welche Plattenfirma welchen Künstler zuletzt als „Indie“ bezeichnet hat, was ja heutzutage leider kein Einzelfall darstellt. Wer war es denn, lieber O-Ton?
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